Legendäre Unfälle (1) — Alexandra
Tod in Tellingstedt
Die Schlagersängerin Alexandra befand sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und war drauf und dran, auch international ein Star zu werden, als sie am 31. Juli 1969 auf der Fahrt nach Sylt das Brems- mit dem Gaspedal verwechselte und dem Club 27 beitrat.
Den Künstlernamen Alexandra hatte Doris Nefedov, geborene Treitz, sich zugelegt, nachdem der Film „Doktor Schiwago” eine wahre Russland-Welle in Deutschland ausgelöst und den Verkauf von Pelzmützen in die Höhe getrieben hatte. Ihre tiefe Stimme rührte die aus dem Osten vertriebenen Deutschen so sehr, dass ihr Lied „Zigeunerjunge“ ein Riesen-Hit und Alexandra nahezu über Nacht berühmt wurde.
Mit Nikolai Nefedov, einem Exil-Russen, war sie verheiratet gewesen, doch den gemeinsamen Sohn zog sie allein auf. Da traf es sich gut, dass ihr Hans R. Beierlein, der Manager von Udo Jürgens und Verleger der „Internationalen“, vorgestellt wurde. „Und wie hat es dem Herrn Beierlein gefallen?“, fragte sie ihn kokett nach einem Auftritt in der Berliner Philharmonie. Doch der ließ sie machohaft abblitzen: „Mädchen, warum Sind Sie eigentlich so unbefriedigt? Sie haben einen miserablen Liebhaber.“
Beierlein war aber auch nicht der Märchenprinz, nach dem sie sich sehnte. Nach dem Ende ihrer Affäre blieb er zwar Alexandras Manager, verschliss sie aber, so ihre Schwester Melitta Treitz, „mit vielen kleinen Sachen“ und wimmelte lukrative Filmangebote ab: „Er hat sie so vollgeknallt, dass sie abgemagert war und noch nicht einmal Zeit hatte, etwas zu essen. Das sollte Liebe sein? Das war Egoismus.“
Erst seit drei Jahren im Geschäft, glaubte Alexandra schon bald, dass sie vor ihrem 40. Lebensjahr sterben werde. Auf Drängen ihrer Mutter kaufte sie sich jedoch 1969 einen schneeweißen Mercedes 220 SE und ließ das zehn Jahre alte Coupé „für ein Heidengeld“ überholen.
Als sie damit nach Sylt fahren will, um sich von den Strapazen des Showbusiness zu erholen, ist sie fix und fertig von den vielen Auftritten in aller Welt. Vor ihrer Abreise regelt sie noch ein paar finanzielle Angelegenheiten, überweist das Schulgeld für ihren Sohn, der auf ein Internat gehen soll, schließt eine zweite, recht hohe Lebensversicherung ab und setzt ein Testament auf. Als der Notar anmerkt, dass sie eigentlich zu jung dafür sei, antwortet Alexandra: „Ich lebe gefährlich in meinem Beruf. Ständig auf Achse, wie leicht kann da was passieren.“
In München nimmt sie den Autozug nach Hamburg, weil sie zu entkräftet ist und „im Fahren ihres Mercedes noch recht ungeübt“, wie ihr Biograf Marc Boettcher berichtet. „Ein handgeschriebener Zettel mit verschiedenen Bedienungshinweisen liegt auf ihrem Armaturenbrett unterhalb der Windschutzscheibe, und sie muss ihn immer wieder zu Rate ziehen.“
In Hamburg trifft sie sich mit dem Chef ihrer Plattenfirma; ihr Vertrag mit der Phonogram läuft an diesem Tag aus. Anschließend schaut sie kurz bei der Hamburger Morgenpost vorbei, dann richtet sie gemeinsam mit ihrer Mutter ihrem Sohn im vollbeladenen Coupé mit Bettwäsche und Handtüchern eine Kuschelecke ein — der Wäscheberg wird ihm schließlich das Leben retten.
Sie nimmt die landschaftlich viel schönere Route nach Sylt und will über Itzehoe, Husum und Niebüll nach Westerland fahren.
An einer Tankstelle lässt sie unterwegs den Reifendruck messen und die Radmuttern nachziehen. In Heiligenstedten hält Alexandra an einer Kfz-Werkstatt, wo für 33,33 Mark eine Zündspüle ausgewechselt und der Vergaser überprüft wird. In Albersdorf tankt sie schließlich und fährt auf der Landstraße 149 weiter in Richtung Friedrichstadt.
Ein Autofahrer bezeichnet sie später als „verkehrswidrige“ und „wilde Fahrerin“. Auf dem Weg von Hamburg nach Heide habe sie ihn mit mehr als 120 km/h etliche Male rücksichtslos überholt: „Sie fuhr so, als ob nur sie ganz allein die Vorfahrt hätte.“
In der Nähe von Tellingstedt kommt es schließlich zum Crash, und mit Alexandra stirbt eine Sängerin, deren ganz große Karriere noch vor ihr lag.
An einer Kreuzung übersieht sie zwei Stop-Schilder und rast auf einen Lkw zu, der mit Steinen und Betonplatten beladen ist. Laut Marc Boettcher verwechselt sie das Brems- mit dem Gaspedal, prallt auf den 32-Tonner und landet 35 Meter weiter auf einer Wiese.
Bereits zwei Minuten später treffen Polizeiobermeister Wiggers und Polizeihauptwachmeister Wieckhorst am Unfallort auf der Bundesstraße 203/Landstraße 149 ein. Eine zufällig vorbeikommende Streife löscht den leicht brennenden Unfallwagen, während W. und W. sich um die eingeklemmten und schwer verletzten Insassen kümmern. Die Beifahrerin wird zuerst befreit und ärztlich versorgt, stirbt aber kurz darauf. Die Fahrerin ist bereits tot, als man sie unter Anleitung des Arztes heraushebt. Das Kind ist nur leicht verletzt.
Die Staatsanwaltschaft Flensburg leitet ein Todesermittlungsverfahren ein, doch die Unfallakte wird schon vierzehn Tage später geschlossen, weil der Unfall selbstverschuldet war. Der Lkw-Fahrer hatte nur einen „von links auf sich zukommenden Schatten“ bemerkt und noch vergeblich versucht zu bremsen. Der einzige Zeuge des Unfalls, ein Straßenwärter, hatte weder Bremslichter gesehen noch sonstige Anzeichen, „die darauf hindeuten, dass die Fahrerin vor der Stoppstraße ihre Geschwindigkeit reduzierte oder sogar anhielt“.
Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Nach dem Unfall verschwand aus ihrer Wohnung alles, „was nicht niet- und nagelfest war“. Bis heute, so die Rechtsanwältin Ursula Utecht, sind wichtige Dokumente nicht mehr aufgetaucht.
Alexandras Wohnung in Hamburg-Rothenburgsort wurde mehrmals ausgeraubt, und in ihrer Münchener Wohnung schoss jemand auf ihre Schwester Melitta Treitz.
Marianne Kraft, Alexandras zweite Schwester, glaubt denn auch, dass ihre Schwester erpresst wurde: „Alexandra hatte Angst und wurde immer nervöser. Aus Angst vor der Presse ging sie nicht zur Polizei. Alexandra fuhr aus Angst und Horror und aus Nervosität in den Tod.“ Und ein ominöser ehemaliger polnischer Geheimdienstoffizier spekulierte, dass sie vom KGB ermordet wurde, da der Unfalltod eine beliebte Methode des sowjetischen Geheimdienstes sei.
Durch ihren frühen Tod wurde Alexandra allerdings erst richtig berühmt. Ihr Song „Mein Freund, der Baum“ avancierte in den Siebzigerjahren zur Hymne der Umweltschützer, und Alexandra verdiente weitaus mehr als zu Lebzeiten. Als ihr Sohn 25 wurde, erbte er 6 Millionen Mark.
Erschienen in: Motoraver # 31